Es hat etwas Gruseliges, als Mensch bewertet zu werden, oder? Diese Fünf-Sterne-Bewertungen über dein Verhalten als Fahrgast, Gast oder Mieter sollen angeblich für Gerechtigkeit sorgen. Aber wenn du mal genauer hinschaust, merkst du: Da geht es weniger um Transparenz und mehr um ein Misstrauens-Theater. Die Sterne stoßen nicht zusammen, sie krachen ineinander – und machen aus echten, menschlichen Begegnungen ein Punktesystem.

Die Illusion von Verantwortung

Nehmen wir mal Ride-Sharing-Apps. Die Fahrer sollen lächeln, freundlich nicken und gleichzeitig heimlich bewerten, ob dein Smalltalk gut genug war – oder ob der mitgebrachte Kaffee sie stört. Du wiederum sollst sie sofort bewerten. So schwebt jede Interaktion irgendwo zwischen “passiv-aggressiver Höflichkeit” und “bloß-keine-schlechte-Bewertung”. Das ist keine echte Verantwortung, das ist Zwangs-Performance. Und am Ende tun beide Seiten so, als ob das System für Fairness sorgt. In Wahrheit ist das ein kalter Krieg der Freundlichkeit. Beide haben Angst vor der Bewertung des anderen – wie beim Wettrüsten, nur mit Sternen statt Raketen.

Die Objektivität dieser Bewertungen? Pure Illusion. Eine Fünf-Sterne-Bewertung wirkt präzise, ist aber so stumpf wie ein Löffel im Messerblock. Gibst du einem Fahrer vier Sterne statt fünf, zerstörst du vielleicht seine Existenz. “Fünf Sterne oder nichts” ist der unausgesprochene Standard. Alles darunter gilt als Versagen. Und diese 0,3 Sterne Unterschied? Die sind nicht nur Deko – sie können entscheiden, ob jemand seinen Lebensunterhalt verliert. Und wie soll man sich verbessern? Das bleibt ein Ratespiel, weil diese Bewertungen genauso willkürlich sind wie die Launen der Leute.

Die Absurdität von Kundenbewertungen

Manchmal wird’s richtig absurd. Stell dir ein Edel-Restaurant vor, das seine Gäste bewertet, oder ein Luxus-Spa, wo die Therapeuten Punkte für deine Manieren vergeben. Solche Orte leben von einem stillen Deal: Der Kunde entspannt sich, der Service bleibt unbewertet. Ein Bewertungssystem würde das alles zerstören. Wie sollst du in der Sauna chillen, wenn der Mitarbeiter gleichzeitig deine Bademantel-Falttechnik benotet? Gastfreundschaft basiert auf Vertrauen – und nicht darauf, wer wem wie viele Sterne gibt.

Wenn Bewertungen Vertrauen ersetzen

Und dann gibt’s noch den Gesundheitsbereich. Hier schleichen sich Patientenbewertungen ein, wie ungebetene Gäste auf einer Party. Stell dir vor, ein Arzt muss nicht nur eine schwierige Diagnose überbringen, sondern auch noch sicherstellen, dass der Patient gut drauf bleibt. Sonst gibt’s eine Ein-Stern-Rachebewertung. Ehrlichkeit? Vertrauen? Alles kaputt. Die Gefahr: Ein Arzt könnte wichtige Infos zurückhalten, nur um keine schlechte Bewertung zu riskieren. Und das ist nicht nur traurig, sondern brandgefährlich.

Selbst bei Ride-Sharing zeigt sich, wie unfair das System ist. Für jeden Erfolg über gegenseitige Verantwortung gibt es Geschichten von Fahrern, die für den Verkehr bestraft werden – als ob sie die Staus kontrollieren könnten. Oder von Fahrgästen, die schlechte Bewertungen kriegen, weil sie nicht genug gelächelt haben. Oder zu viel gelächelt haben! Das System bevorzugt immer den, der bewertet, nicht den, der bewertet wird. Und so wird echte Menschlichkeit durch Fake-Freundlichkeit ersetzt: Übertriebenes Lächeln, unechte Dankbarkeit – alles für den perfekten Score.

Philosophisch gesehen ist das ganze Thema noch problematischer. Kants “kategorischer Imperativ” – andere Menschen niemals nur als Mittel zum Zweck zu behandeln – klingt in einer Welt mit Uber-Bewertungen fast wie ein Witz. Diese Quantifizierung menschlicher Interaktion ist entmenschlichend. Sie macht komplexe, echte Beziehungen zu sterilen Transaktionen. Selbst Benthams Nutzen-Kalkül, das die Maximierung von Glück rechtfertigen will, scheitert hier. Schlechte Bewertungen sind nicht nur Zahlen – sie sind wie Brandmale, ohne Nuance, ohne Rückmeldung.

Das Problem liegt aber nicht in der Technik. Diese Systeme haben unsere Bewertungs-Lust nicht erfunden, sie haben sie nur digitalisiert. Das wahre Problem ist, dass wir Bewertungen überall draufklatschen. Dadurch reduzieren wir Beziehungen auf: “Wie hab ich abgeschnitten?”

Wer bewertet die Bewerter?

Verbraucher zu bewerten zeigt, dass man das Wesen von Dienstleistung nicht verstanden hat. Die besten Interaktionen – ob in der Gastronomie, im Gesundheitswesen oder beim Ride-Sharing – sind chaotisch, unvorhersehbar, menschlich. Mit Sternesystemen riskieren wir, diese Menschlichkeit zu verlieren. Noch schlimmer: Niemand bewertet die Architekten dieser schlechten Systeme. Ich war mal in einem Walmart in Kanada, um ein LEGO-Set für meinen Sohn zu kaufen. Es war hinter einer Plastikscheibe eingeschlossen. Ich musste einen Code scannen, warten – und wurde dann gefragt, ob ich die Erfahrung bewerten will. Ich wollte einen Stern geben, sah aber Optionen wie: “Niemand kam”, “Unfreundlich”, “Nicht hilfreich”. Wie absurd! Ich wollte das System bewerten, nicht den hektischen Mitarbeiter. Aber ich hab darauf verzichtet, weil es unfair gewesen wäre.

Also, das nächste Mal, wenn du deinem Uber-Fahrer vier Sterne gibst, weil er “zu wenig Small Talk” gemacht hat, frag dich: Wer verdient die schlechte Bewertung eigentlich wirklich?